Arbeitskreis Stolberger Geschichte
Erläuterungen zur Ausstellung MEINE HEIMAT „Stolberg zur Zeit der Industrialisierung“
Herausgeber: Arbeitskreis Stolberger Geschichte
Zusammenstellung: Heinz Foltz

6. Die Firma „Mäurer & Wirtz (1845 – 1914)

Vom Handwerksbetrieb zum Industrieunternehmen

Hans-Joachim Ramm

 

Im November 1845 machte Michael Mäurer seinen Stiefsohn Andreas August Wirtz zum Teilhaber seiner Kolonialwarenhandlung in der Stolberger Klatterstraße. Andreas August Wirtz war am 3.12.1821 als Sohn des Johann August Wirtz, der als Hutmacher in Elberfeld arbeitete, und der Maria Catharina Welter, Tochter eines Stolberger Brauereibesitzers, geboren worden. Sein Vater starb im April 1822 an den Folgen eines Unfalls. Die Witwe heiratete in zweiter Ehe den ebenfalls verwitweten Bäcker Michael Mäurer. Andreas August Wirtz erlernte den Beruf seines Stiefvaters und erwarb darüber hinaus kaufmännische Kenntnisse. Am 24.11.1845 heiratete er Apollonia Marx aus Köln und wurde am selben Tag Teilhaber im Unternehmen seines Stiefvaters, das jetzt als „Mäurer & Wirtz“ firmierte.

Ende der 40er Jahre begannen Michael Mäurer und Andreas August Wirtz, die das Handwerk des Seifensieders nicht erlernt hatten, nach verschiedenen Rezepten Schmierseife zu kochen. Dadurch schlossen sie eine Marktlücke, denn während der Frühindustrialisierung war von 47 Seifensiedereien  in der preußischen Rheinprovinz kein Betrieb im Landkreis Aachen ansässig. Nachdem die ersten Versuche gelungen und die weichen Seifen im eigenen Laden verkauft worden waren, erteilte die Bezirksregierung in Aachen dem Unternehmen „Mäurer & Wirtz“ am 19. Mai 1851 die beantragte Genehmigung zur Seifenherstellung. Als Michael Mäurer am 25.2.1856 starb, hinterließ er das Unternehmen seinem Stiefsohn.

Die Siederei befand sich hinter dem Stammhaus in der Klatterstraße, unmittelbar am Vichtbach. Andreas August Wirtz verarbeitete die Rohstoffe Talg, Kokosöl, Leinöl, Harz, russische und rheinische Pottasche, Soda, Salz und Wasser zu Seife, die in mehreren Kesseln mit direkter Feuerung gesotten wurde. Ätherische Öle und verschiedene Farbstoffe dienten der „Verschönerung“ der Seifen.  In den 50er Jahren wurden neben der Schmierseife mehrere Sorten Kernseife und Rasierseife hergestellt. Der Vertrieb dieser Erzeugnisse erfolgte zunächst nur im eigenen Laden, seit 1860 mit Handwagen und später mit Pferdewagen auch außerhalb Stolbergs. Seit 1867 kauften Aachener Tuchfabrikanten eine spezielle Walkseife, so dass jetzt auch die Industrie zu den Kunden des Unternehmens gehörte.

Um 1870 wurden 13 verschiedene Sorten von Schmier-, Walk-, Bleich-, Rasier-, Kern- und Toilettenseifen sowie in kleinen Mengen Pomade produziert. Die Rohstoffe kaufte Andreas August Wirtz u.a. bei Lieferanten in Mannheim, Berlin, Maastricht, Antwerpen, Bordeaux und London ein. Kunden wurden nicht nur im Rheinland, sondern auch schon in Westfalen und Belgien  beliefert.

In den 70er und 80er Jahren expandierte das Unternehmen weiter, obwohl die technischen Produktionsbedingungen unverändert handwerklich geprägt blieben. Glyzerin, das bei der Verseifung entstand, und Kristallsoda, welches die „Chemische Fabrik Rhenania“  in Stolberg-Atsch herstellte, ergänzten die Produktpalette. Nach dem Tod von Andreas August Wirtz am 23.1.1884 übernahm seine Witwe Apollonia Wirtz die Leitung des Unternehmens. Ihr Sohn Franz Wirtz war schon 1875 in das Unternehmen eingetreten und seit 1882 als Prokurist tätig.

1885 stellte „Mäurer & Wirtz“ zum erstenmal Waschpulver her. Dieses bestand ursprünglich aus reiner, pulverisierter Seife. Um die Reinigungskraft zu erhöhen, wurde später weitere Chemikalien hinzugefügt, so dass diese frühen Waschpulver ein Gemisch aus Seife, Soda und Wasserglas enthielten. Wegen der großen Nachfrage konnte die Produktion in kurzer Zeit erhöht werden. Am Standort Klatterstraße verhinderte jedoch die räumliche Enge die notwendige Erweiterung des Betriebs.

Nach schwierigen Verhandlungen schloss Franz Wirtz am 22.12.1888 mit der Stadt Stolberg einen Kaufvertrag für den Kupferhof Grünenthal ab. Dieser lag ebenfalls am Vichtbach, aber außerhalb des damaligen Stadtzentrums. Nach Renovierungs- und Umbauarbeiten zog das Unternehmen im Herbst 1889 um. Bei dieser Gelegenheit gab Franz Wirtz das Kolonialwarengeschäft auf. Apollonia Wirtz starb am 27.12.1889 noch im alten Stammhaus in der Klatterstraße.

Am neuen Standort vollzog sich der Wandel vom Handwerksbetrieb zum Industrieunternehmen. Franz Wirtz kaufte neue, größere Siede- und Laugenkessel sowie Spindelpressen, um die Produktion zu steigern. Der Vichtbach lieferte so viel Wasserkraft, dass u.a. mit einer Turbine Strom für die elektrische Beleuchtung der Fabrik erzeugt werden konnte – erst 10 Jahre später versorgte ein öffentliches Elektrizitätswerk Stolberg mit Strom. Noch vor der Jahrhundertwende wurden die Fabrikgebäude erweitert. 1901 löste die Dampfbeheizung die direkte Feuerung der Siedekessel ab. Gleichzeitig wurde die erste Dampfmaschine mit 40 PS Leistung in Betrieb genommen. Neue Einrichtungen und Maschinen, die bis 1910 angeschafft wurden, förderten die Mechanisierung des Produktionsprozesses. Dazu gehörten Trockenschränke, Mahl- und Rührwerke, Piliermaschinen, Strangpressen, Misch- und Schneidemaschinen, eine Transmissions- und eine Fettspaltungsanlage (Autoclav), ein hydraulischer Aufzug, eine Vakuum-Eindampfanlage für Glyzerinwasser und eine Seifenpulverpaketiermaschine, die 30 Packungen in der Minute abfüllte.

„Mäurer & Wirtz-Seifenpulver“ entwickelte sich Anfang der 90er Jahre zum Verkaufsschlager. Um dieses Produkt vor Nachahmung zu schützen, beantragte Franz Wirtz 1894 beim Kaiserlichen Patentamt in Berlin, die Bildzeichen „Sänger mit Hund“ und „Pferd“ in das Warenzeichenregister einzutragen. In den folgenden Jahren wurden diese Warenzeichen für verschiedene Produkte genutzt, z.B. für den „Seifenextract mit dem Pferd“, für die Toilettenseife „Brilliantseife mit dem Pferd“ sowie für „Pferdchenseife“ aus weißer und gelber Kernseife. Am 21.4.1899 beurkundete das Kaiserliche Patentamt die Eintragung des Warenzeichens „Dalli“. Dieses Wort diente als Name der ersten Markenartikel des Unternehmens: „Dalli-Seifenextract“, „gemahlene Dalli-Seife“ und „Dalli-Seifenpulver“. 1908 brachte „Mäurer & Wirtz“ ein Bleichsoda und das sauerstoffhaltige Waschmittel „Pirol“ auf den Markt.

Neben der Modernisierung der Produktionsanlagen trieb Franz Wirtz auch den Ausbau der Absatzorganisation systematisch voran. Im Januar 1890 erhielt das Unternehmen einen Telefonanschluss mit der Rufnummer 9. – In Stolberg und Eschweiler waren bei der Einrichtung des Telefonnetzes insgesamt nur 38 Anschlüsse vorgesehen. – Dies erleichterte die Kommunikation mit Lieferanten und Kunden. Die ersten Außendienstmitarbeiter bereisten zunächst das Rheinland, später auch Westfalen, Luxemburg, Belgien und die Niederlande. 1903 stellte Franz Wirtz einen Werbefachmann ein, der „Routine in der Abfassung und Behandlung der direct auf die Kundschaft einwirkenden Reklame sowie in praktischer Ausarbeitung und Vergebung von Zeitungsreklamen und Drucksachen“ haben sollte. Neben schon bestehenden Außenlagern wurde 1910 ein Zweighaus in Düsseldorf eröffnet. Der Fuhrpark bestand aus 15 Pferden und fünf Planwagen; 1912 hielt mit dem ersten Lkw, einem Saurer-Fünftonner, die Motorisierung Einzug bei „Mäurer & Wirtz“.

Während in der Klatterstraße außer den Familienmitgliedern maximal 10 weitere Personen im Unternehmen tätig waren, stieg die Zahl der Mitarbeiter Anfang der 90er Jahre auf 30 Personen und verfünffachte sich bis 1913. Die Arbeitszeit begann in der Regel morgens um 6 Uhr und endete abends um 7 Uhr.

Kurz nach der Jahrhundertwende wurde das Betriebsgelände im Grünenthal für das expandierende Unternehmen erneut zu eng. Da auch ein eigener Bahnanschluss fehlte – Fuhrwerke transportierten Rohstoffe vom Bahnhof Stolberg-Mühle zur Fabrik  und Fertigwaren zurück zum Bahnhof -, suchte Franz Wirtz wieder einen neuen Standort. 1909 erwarb er außerhalb der Stadt an der Zweifaller Straße ein 25.000 m² großes Gelände, den „Dollgarten“, der an der Bahnstrecke von Stolberg nach Walheim lag. In vier Jahren wurde ein Gebäudekomplex errichtet, der einen nahtlos ineinandergreifenden Arbeitsablauf von der Rohstoffanlieferung bis zum Fertigproduktversand ermöglichte. Mit dem Umzug in das neue Werk im Juni 1913 begann für „Mäurer & Wirtz“ wieder ein neuer Abschnitt der Unternehmensgeschichte, „die Zeit der großbetrieblichen Massenproduktion“.